Immer häufiger werde ich mit folgender Fragestellung im Arbeitsrecht konfrontiert:
Ich bräuchte Ihre Hilfe bzgl. meiner derzeitigen Arbeitssituation! Ich bin aktuell im Angestelltenverhältnis tätig im Vertrieb bei einem regionalen mittelständischen Unternehmens. Zu meine Aufgaben gehört Außendienstarbeit und dementsprechend die Akquise, Bindung von Kunden. Seit mehr als x Jahren komme ich meinem Job nach, ich liebe eigentlich das was ich tue. Jedenfalls habe ich das!!! Im Verlauf der letzten Jahre wurden in unserem Unternehmen die Verhältnisse immer schwieriger, was nichts mit den wirtschaftlichen Bedingungen zu tun hat. Unser Seniorgeschäftsführer hat in einem regelrechten „Controllingwahn“ die Ausgaben für unsere Produktion gedrosselt und Outsourced. Die Qualität unserer Produkte hat mittlerweile so stark abgenommen, dass es mir regelrecht Bauchschmerzen bereitet für sie zu werben. Es gibt jetzt überall im Unternehmen tolle Sprüche zum produktiver werden und wir sind so „Innovativ“ und sind „Marktführer“. Das zwischenmenschliche Miteinander gibt es nicht mehr, die Teamleiter sind permanent am Maßregeln und eingreifen. Die Zielvorgaben werden bei dem „Wahnsinn“ zusätzlich angezogen (jetzt schon) Quartalsweise. Die Belegschaft ist am verzweifeln und die Besten sind schon weg. Zu allem Übel ist mein Vorgesetzter der, der mir persönlich besonders zu schaffen macht. Hr.Y wälzt den entstehenden Druck nach unten ab und lässt alle Probleme links liegen, wenn der Gong schlägt fällt der Stift. Kritik egal welcher Art ist unmöglich und fachlich fehlt es ihm an Kompetenz. Long story short!!!
Gibt es denn keine Möglichkeit meinen unfähigen Vorgesetzten loszuwerden?
Ich würde mich über eine zeitnahe Antwort sehr freuen, da jeder Arbeitstag schlimmer wird als der vorherige. Jeden Morgen habe ich schon Übelkeit.
Hier gibt es kein Patentrezept. Seit 1986 bin ich mit diesen Fragen arbeitsrechtlich konfrontiert.
Love it.
ideal – ich liebe meinen Job – Ich liebe meine Kollegen – Ich liebe meine Chefs
Die Phase des Love ist, ist überschritten. Erste Ansätze der Gesundheitsschädigung zeigen sich schon. Der Beginn einer Spirale, die nicht selten ins Burn Out führt. Hier ist dann nicht mehr der Fachanwalt für Arbeitsrecht, sondern ärztliche Hilfe erforderlich.
Change it
Change it noch möglich?
Erfahrungsgemäß ist in solchen Situationen in den Betrieben nur wenig geordnet. Das Organigramm ist entweder gar nicht vorhanden oder geschaffen vor 12 Jahren, als es mal einen Unternehmensberater gab oder der Geschäftsführer noch Unternehmensvisionen hatte.
Heute bildet das Organigramm aber keine Gegenwart ab. Das Leitbild wurde vermutlich ebenfalls vor 12 Jahren verabschiedet, aber der letzte, der wusste, was man mit dem Leitbild bezweckte, ist vor 5 Jahren aus dem Unternehmen ausgeschieden. Heute dient es nur noch der Außendarstellung oder macht sich gut auf der Homepage – oder es ist nur ein schönes Bild an der Wand.
Ihr Arbeitsvertrag beruht vermutlich einem Vertragsmuster von 2002 und unter § 2 Abs. 3 wird auf eine Funktionsbeschreibung (Anlage 1) verwiesen, aber diese Anlage wurde nie erstellt oder in den letzten Jahren aktualisiert.
Daher stelle ich regelmäßig die Frage:
„Ist von Ihrem Arbeitgeber klar definiert, welche Aufgaben, Kompetenzen, Vollmachten Sie haben und welche gerade nicht? Ist auch klar, welche Aufgaben, Kompetenzen und Vollmachten ihr Vorgesetzter hat?“
Ich erlebe dann oft, dass es in diesen „Grauzonen“ es zu Konflikten kommt, weil niemand diese Erwartungshaltung klar definiert hat, weder für den Mandanten, noch für dessen Vorgesetzten. Hier sitzen beide quasi im gleichen Boot und jeder versucht seine Lösung in diesem „Nebel“ zu finden. Der Vorgesetzte denkt: „Dafür wird X bezahlt“ und X denkt: „Dafür bin ich gar nicht zuständig“.
Und dieses Spiel kann lange und oft gespielt werden, bis X sich in die Krankheit verabschiedet oder wegen Schlechtleistung gefeuert wird. Selten zahlt der Vorgesetzte den Preis.
Erst, wenn der Garten mit einer Stellenbeschreibung/Funktionsbeschreibung/Aufgabenbeschreibung abgesteckt ist, wird erstmals offenbar und transparent, wer der Low Performer in der Abteilung ist. X oder sein Vorgesetzter. Ohne diese Transparenz bleibt das Versagen regelmäßig bei X hängen.
Denn in diesem Fall müsste der Geschäftsführer/der Gesellschafter eigentlich einräumen, dass es sein Führungsversagen war. Soviel Selbsterkenntnis habe ich in meiner anwaltlichen Praxis jedoch nur selten, eigentlich nie erlebt.
Wenn es noch nicht zu spät ist – die Kunst den eigenen Garten zu bestellen
Fragen Sie den Vorgesetzten nach einer aktualisierten Aufgabenbeschreibung.
Wenn es keine gibt, fertigen Sie eine solche an und fragen Sie ihren Vorgesetzten im ehrlich, freundlichen Ton an, ob diese vollständig ist und ob er ihre Aufgaben und Kompetenzen ebenso sieht. Allein aus diesem Dialog ergibt sich die Chance zum Wandel – zum change it.
Sollte es einen Betriebsrat geben, bitten Sie diesen generell für jeden Arbeitsplatz Funktionsbeschreibungen zu fordern, dann bleibt der Fokus der Arbeitgeberaufmerksamkeit beim Betriebsrat und ruht nicht auf einem einzelnen Mitarbeiter.
Sollte das Ansinnen abgelehnt werden, sollte auf Seiten des Vorgesetzten keinerlei Veränderung erfolgen: Ihre Gesundheit ist wichtiger als ihr Job.